Anne Panther ist Deutschlands höchstrangige Schiedsrichterin im Männerbasketball. Lena Gohlisch ist die Kapitänin von ALBAs Frauenteam. Beide können nicht davon leben. Ein Gespräch über Vorbilder, Frauen und Gleichberechtigung im Sport.


Interview: Leonard Brandbeck & Rabea Weihser
Fotos: Camera4 & Philipp Sommer

Dieses Interview stammt aus dem neuen ALBA-Jahrbuch zur Saison 2021/22. Das Jahrbuch trägt den Titel HANDPRINT und ist hier im Shop erhältlich. In Geschichten, Porträts, Interviews und vielen weiteren Features erzählen wir, wo ALBA überall wirksam wird – sportlich und ideell. Als größter deutscher Basketballverein wollen wir damit der Gemeinschaft die Hand reichen und eine Spur hinterlassen, der andere folgen können: Das ist unser „Handprint“. Einige der Beiträge veröffentlichen wir nach und nach auf unserer Website.

Zur Fotoserie HANDPRINT aus dem Jahrbuch


Kurz vorweg: Wie überall im Basketball duzen wir uns professionell. Lena, Du spielst im ALBA-Frauenteam in der Zweiten Bundesliga. Nebenbei promovierst Du gerade in Medizin. Warum willst Du Ärztin werden statt Profibasketballerin?

Lena Gohlisch: Ich habe erst mit 18 meine erste Saison in der Zweiten Liga gespielt, hatte also einen eher späten Durchbruch. Es war von vornherein klar, dass ich mit Basketball nicht mein Geld verdienen werde.

Das klingt nach einer freiwilligen Entscheidung gegen den Profisport. Anne, wie ist das bei Dir? Du bist eine der höchsten Schiedsrichterinnen im deutschen Basketball, hast aber auch einen anderen Beruf gewählt. 

Anne Panther: Als Frau kannst du in Deutschland deinen Lebensunterhalt zurzeit nicht mit Basketball verdienen. Das gilt für Spielerinnen und Schiedsrichterinnen. Ich arbeite während der Saison in Teilzeit im Personalbereich eines Krankenhauses als stellvertretende Abteilungsleiterin. In der vorigen Saison habe ich zusätzlich 86 Spiele auf nationaler und internationaler Ebene geleitet.

Das wäre doch ein Vollzeitjob, rund drei Ansetzungen pro Woche, wie für die Spieler ja auch.

Panther: Schiedsrichter:in ist leider kein anerkannter Beruf in Deutschland. Letztlich trägst du alle Kosten und Gefahren allein. Wenn man sich beim Spiel verletzt, fällt man aus und verdient kein Geld. Es gibt in Deutschland nur einen Profischiedsrichter, Robert Lottermoser, und selbst der kann sich das finanziell nur leisten, weil er einer der Besten in der EuroLeague ist. Da werden höhere Honorare gezahlt. Außerdem beschäftigt man sich als Frau immer auch mit dem Thema Familienplanung: Wenn ich ein, zwei Jahre raus bin, schaffe ich dann den Wiedereinstieg? Das System im deutschen Basketball ist einfach nicht auf Frauen ausgelegt, weder auf Spielerinnen noch auf Schiedsrichterinnen.
 

Was muss passieren in Verbänden und Vereinen, damit sich diese Strukturen zum Besseren ändern?

Panther: Es sind männliche, gewachsene Strukturen. Ich glaube nicht, dass es hier ein grundsätzliches Problem der Anerkennung von Frauen gibt, das haben wir dann doch schon erreicht in Deutschland. Im Deutschen Basketball Bund arbeiten viele Frauen, nur im Bereich der Funktionäre findet man ausschließlich Männer. Es geht gar nicht darum, dass wir jetzt alle Funktionärinnen im DBB werden wollen. Wir wollen einfach nur unseren Lebensunterhalt mit Basketball verdienen können.

Gohlisch: Mit Satou Sabally und Marie Gülich gibt es jetzt Spielerinnen, die mehr Aufmerksamkeit bekommen. Aber man muss gerade im Frauenbasketball weiter in den Breitensport investieren.

In vielen Vereinen gibt es gar keine Mädchenteams. Ihr beide habt ja früher auch in Jungsteams mitgespielt.

Gohlisch: Richtig, man kann nicht nur auf eine Familie Sabally hoffen, die zwei Spitzenspielerinnen hervorbringt. Es muss Mädchen ermöglicht werden, überhaupt erst mal anzufangen. Jeder Bundesligastandort muss ein WNBL-Team haben. In Frankreich habe ich in einem reinen Frauenverein gespielt. Das ist in Deutschland noch undenkbar. Bei ALBA passiert jetzt auch einiges, wir haben viel mehr jüngere Spielerinnen dabei. Man kann ihnen zwar keine großen Gehälter versprechen, aber man kann ihnen einen Studienplatz organisieren, eine Wohnung oder so was. Aber die Besten werden dann Profis im Ausland, damit muss man leider rechnen.

Anne, Du bist rund zehn Jahre älter als Lena. Inwiefern haben sich die Strukturen im Frauenbasketball verbessert?

Panther: Vor 20, 25 Jahren war Deutschland im Frauenbasketball ziemlich weit vorn. Da gab es richtig starke Jahrgänge und Vereine. Wir haben sogar im internationalen Bereich Titel erkämpft. Heute fehlen uns die Zugpferde. Die meisten großen Vereine haben sich aus dem Frauenbasketball zurückgezogen mit dem Argument, es lohne sich finanziell einfach nicht. Das war ein Schlag für die Entwicklung der Liga, weil sich das auch auf die Sponsoren auswirkt. Im Ausland ist die mediale Aufmerksamkeit viel größer, und entsprechend interessant ist Frauenbasketball dort für Kapitalgeber.  


Mädchen- und Frauenbasketball bei ALBA BERLIN

  • Rund 400 Mädchen und Frauen spielen bei ALBA Basketball – mehr als in jedem anderen Verein in Deutschland

  • In der Saison 2008/09 ging es los mit zwei Mädchen- und einem Frauenteam, heute sind es 24 Nachwuchs- und drei Erwachsenenteams

  • Das erste Frauenteam startete zur Saison 2008/09 ganz unten in der Landesliga und spielt 2021/22 – vier Aufstiege später – in der Zweiten Damen Basketball Bundesliga Nord

  • Seit der Saison 2013/14 ist ALBA auch in der Weiblichen Nachwuchs-Basketball-Bundesliga (WNBL) vertreten

  • 15 Trainerinnen sind bei ALBA aktiv, dazu kommen sechs Schiedsrichterinnen


Über die Medien verbreiten sich Rollenmodelle, die Kindern zeigen, was in dieser Welt möglich ist. Wer waren Eure sportlichen Idole?

Gohlisch: Mein großer Bruder und meine Oma haben Basketball gespielt. Ich bin in Prenzlauer Berg aufgewachsen und habe mit zehn bei den ALBA-Minis angefangen. Wir sind natürlich zu vielen ALBA-Spielen gegangen. Matej Mamić war mein größtes Vorbild, weibliche Idole hatte ich nicht so wirklich.

Damals hatte ALBA ja auch noch kein reines Mädchen- oder Frauenteam. Wo hast Du nach Vorbildern gesucht, Anne?

Panther: Bei mir war es ähnlich. In Mecklenburg-Vorpommern haben wir gegen Jungs trainiert, weil wir zu wenige Mädchen waren. Bundesliga? Gab’s für uns gar nicht, lief ja nicht im Fernsehen. Weibliche Vorbilder hatte ich in der Phase nicht.

Und im Schiedsrichterbereich?

Panther: Als ich noch in der Zweiten Regionalliga gepfiffen habe, durfte ich mal bei einer Saisoneröffnung der DBBL zuschauen. Da haben Petra Kremer und Kerstin Kammann gepfiffen und ich war total beeindruckt. Da hab ich mir gesagt: In vier Jahren will ich auch ein Erstliga-Frauenspiel pfeifen!

Da sind sie ja, die inspirierenden Idole! 

Panther: Auf jeden Fall. Aber ich habe mich nie getraut zu sagen, dass ich gern mal in der BBL oder in der EuroLeague oder bei Olympia pfeifen würde. Solche Träume waren mir zu unwirklich.

Menschen agieren in sozialen Gefügen unter Einfluss von Rollenzuschreibungen, die vielleicht schon veraltet sind. Eine Frau im Männersport wird einfach noch nicht neutral wahrgenommen, ganz unabhängig von ihren fachlichen Leistungen. Hat sich das auf Dein Selbstverständnis ausgewirkt?

Panther: Die Fußballbundesliga-Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus hat in einem Interview mal beschrieben, sie habe lange versucht, zwischen den ganzen Männern nicht aufzufallen. Irgendwann habe sie dann erkannt, dass allein der Versuch Quatsch ist. Wenn sie aufs Feld tritt als einzige Frau unter 22 Männern, wird sie immer auffallen. Das war für mich eine Schlüsselerkenntnis.

Du bist eben nicht nur eine Spitzenschiedsrichterin. Du stehst als Frau an exponierter Stelle, das wird Dir sicherlich immer wieder bewusst. Wie gehst Du mit den Erwartungen um?

Panther: Ich habe das spätestens gemerkt, als ich 2019 als erste Frau das Final-Four der EuroLeague pfeifen durfte. Da kamen Nachrichten von Frauen aus aller Welt: „Ich dachte immer, das sei unmöglich! Du öffnest uns so viele Türen! Ein Traum! Wahnsinn!“ Da wird einem die eigene Rolle schon bewusst, und welche Erwartungen auf einem liegen. Das ist immer noch schwierig für mich zu akzeptieren, der Druck macht mir auch Angst. „Wenn ich versage, dann versage ich für alle Frauen.“ Diesen Gedanken schiebe ich gern beiseite.

Lena, wie nimmst Du Deine Vorbildrolle an?

Gohlisch: Mein Trainer erinnert mich immer gern an diese Funktion im Team, und dass ich das so toll mache. Klar, sie sind teilweise zehn Jahre jünger als ich, aber trotzdem meine Mitspielerinnen. Sie wissen, wie mein Weg verlaufen ist, und sie gucken sich auf natürliche Weise Sachen ab. 

Panther: Ich finde es superwichtig, dass junge Spielerinnen zu jemandem hinaufschauen können, der greifbar ist, im selben Verein oder sogar im selben Team. Das kann extrem viel bewirken und davon haben wir zu wenig. Was ALBA macht, ist ja vorbildlich in Deutschland. 

Lena, hast Du mal daran gedacht, Schiedsrichterin zu werden?

Gohlisch: Ich glaube, ich bin nicht so der Typ dafür. Außerdem fällt es mir super schwer, Spiele anzugucken: Ich will den Ball in der Hand halten. Als Schiri muss man ein bisschen mehr Durchsetzungsvermögen haben. Auch mir in meiner Funktion als Point Guard haben die Trainer am Anfang immer gesagt: Du musst lauter sein! Als Schiedsrichterin muss man so ein gewisses Selbstbewusstsein mitbringen, was ich gerade im Jugendbereich nicht hatte.

Sind das die wesentlichen Voraussetzungen, Anne?

Panther: Ja und nein. Es läuft ja meist so: Der Verein sucht Schiedsrichter, spricht dich an, und dann mach mal. Du musst halt entscheidungsfreudig sein, eine Leidenschaft für Basketball haben und vielleicht mal ein Regelheft gelesen haben. Ich glaube nicht, dass man zwingend ein total festes Selbstbewusstsein braucht. Das entwickelt sich. Wie auch die Fähigkeit, mit Druck von außen umzugehen, sei es von Seiten der Coaches, Spieler, Spielereltern, Fans oder Medien. Schiedsrichter lernen viel fürs Leben, sie wachsen als Menschen.

Durchschießt Dich ein Adrenalinstoß, wenn Du im Moment des Pfiffes schon weißt, dass es eine Fehleinschätzung war, zu der Du stehen musst?

Panther: Nicht mehr. In der Regel sag ich es den Leuten auch gleich. Die große Herausforderung sind die letzten zehn Sekunden jedes Spiels, wenn es zwei Punkte Unterschied sind. Du weißt, dass deine nächste Entscheidung über das Spiel entscheiden kann oder sogar über einen Titel. In solchen Momenten stehen wir unter Hochdruck und wollen einfach keinen Fehler machen. Alle Spiele, die mit fünf oder weniger Punkten Unterschied enden, werden minutiös gescoutet. Jede Fehlentscheidung. Und wenn wir in der Crunchtime einen Fehler machen, werden wir entsprechend der Schwere des Fehlers sanktioniert. Das erhöht noch mal den Druck. Nach so einem Topspiel bist du nicht in erster Linie körperlich müde, sondern mental richtig ausgelaugt. Du kannst keinen vernünftigen Satz mehr denken.

Gohlisch: Es ist total spannend, die Sicht einer Schiedsrichterin zu hören. Die Schiris fallen ja eigentlich nur auf, wenn sie Fehler machen. Als Spielerin ist man sich immer sicher, dass man recht hat. Dann sieht man hinterher das Video und merkt, dass man die Situation ganz anders wahrgenommen hat, als sie war. „Aua, und ich hab mich auch noch beschwert ...“

Panther: Klar, einerseits sollen sich die Schiedsrichter aus allem heraushalten. Aber es ist umso wichtiger, danach miteinander zu reden. Man sollte das nicht auf dem Feld machen. Aber vor oder nach der Saison Spieler, Trainer und Schiedsrichter in irgendeiner Form zusammenzubringen – das schafft Verständnis für alle Sichtweisen. Wir sind ja alle nur Menschen.


Anne Panther wurde 1982 in Schwerin geboren und hat bis zur Zweiten Liga selbst Basketball gespielt. Inzwischen ist sie eine der besten Schiedsrichterinnen im europäischen Männerbasketball. Sie ist verantwortlich für den männlichen und weiblichen Referee-Nachwuchs in Deutschland. Hauptberuflich arbeitet sie im Personalmanagement des Uniklinikums Heidelberg.

Lena Gohlisch wurde 1993 in Berlin geboren und hat in der ALBA JUGEND mit dem Basketballspielen begonnen. Sie nahm an den Olympischen Jugendspielen teil, spielte in Frankreich und in der Bundesliga. Vor zwei Jahren kehrte die Spielmacherin nach Berlin zurück. Hier führt sie seitdem ALBAs Zweitliga-Team als Kapitänin an und promoviert in Medizin.